„Heimat war immer Forst!“ – Die „Cortinas“ erzählen Anekdoten ihrer internationalen Karriere

Als es um die Ausgestaltung der Themen für die diesjährigen Geschichtsstammtische ging, fand der Vorschlag, das Forster Artisten-Ehepaar Editha und Manfred Mudlack einzuladen und auszufragen, sofort Zustimmung bei den Verantwortlichen. Unter dem Künstlernamen „Die Cortinas“ bereisten die Mudlacks die ganze Welt. Da gibt es doch sicherlich die eine oder andere spannende Episode zu berichten – so die Hoffnung der Organisatoren um Frank Henschel. Und sie sollten nicht enttäuscht werden, ebenso die zahlreichen Besucher des nunmehr 70. Forster Geschichtsstammtisches des Museumsvereins, der diesmal im Restaurant „Rosenflair“ stattfand. Als Moderatorin des Abends konnte die Journalistin Ingrid Ebert gewonnen werden, die Editha und Manfred Mudlack schon viele Jahre kennt und als deren Biografin aktiv ist. „Vorsichtshalber habe ich mir eine Sauna-Uhr mitgebracht, um die Zeit zu kontrollieren, denn es wird viel zu erzählen sein!“, scherzte Ingrid Ebert zur Begrüßung, wohl noch nicht ahnend, wie emotional der Abend später werden sollte. .

Manfred Mudlack (Jahrgang 1926) berichtete, wie er sich in Kriegsgefangenschaft mit kleinen Kunststücken über Wasser hielt und schon mal die eine oder andere Extra-Portion Essen erhielt, weil er Gefangene davon abhielt, sich am Elektrozaun das Leben zu nehmen. Als er seine Editha (Jahrgang 1934), ein Zirkuskind, kennenlernte, war beiden schnell klar, wohin die Reise gehen würde.
Zunächst waren sie die Pausenfüller in Forster Lokalen, wenn zum Tanz aufgespielt wurde und die Musiker eine Pause machten. Daraus entwickelte sich die „Globus-Bühnenshow“ und beide traten anfangs in kleineren Varietès mit Balance-Kunststücken auf der rollenden Walze auf. Später folgten Engagement in den Zirkussen „Aeros“, „Barley“ oder „Krone“.
Daß Manfred Mudlack noch immer nichts verlernt hat, bewies er den Besuchern im „Rosenflair“, als er unter großem Applaus auf einer Glasrolle und einer Glasscheibe balancierte und dabei Reifen rotieren lies. „Zu meinem 90. Geburtstag habe ich gesagt, daß ich noch mit 100 Jahren auf der Rolle stehen werde.“ Keiner im Saal zweifelte daran.

1954 spielte Manfred Mudlack alias Fred Cardis in dem DEFA-Film „Carola Lamberti – Eine vom Zirkus“ (u.a. mit Henny Porten) mit. Darin doubelte er die Schauspielerin Ursula Kempert, die laut Drehbuch einen Salto über 7 stehende Pferde vollführen sollte. 1958 erhielten die Mudlacks ein Angebot vom berühmten Zirkus „Krone“. In 26 Länder führten die Gastspiele, wie Editha Mudlack berichtete.
Doch es blieb nicht nur bei den Salti über Pferde. Auch Autos wurden übersprungen. „Ein Sechs-Zylinder-Wanderer ist bekanntlich sehr lang und wenn man ihn nicht schafft, auch sehr hart“, wußte Manfred Mudlack aus eigener Erfahrung. Selbst 3 ausgewachsene Elefanten waren kein Hindernis für den Künstler.

Den Namen „Cortinas“ entliehen sich die Mudlacks übrigens vom Austragungsort der Olympischen Winterspiele, die 1956 im italienischen Cortina d’Ampezzo stattfanden.

Ingrid Ebert entlockte den Artisten viele Anekdoten und den Besuchern im Saal mehrmals ein Schmunzeln. Etwa, als Manfred Mudlack erzählte, wie er mit seinem neugeborenen Baby in Erfurt vor den Augen der entsetzten Kollegen einen Salto vollführte, oder wie die „Cortinas“ mal für Vertreter der mexikanischen Botschaft gehalten wurden, weil der echte Botschafter Cortina hieß.

Die Bilanz der „Cortinas“ ist beeindruckend. In Naumburg sprang Manfred Mudlack über 9 Pferde, insgesamt waren es in der gesamten Laufbahn über 34200 Pferde, die er mit einem Salto übersprang. Es folgten noch Trampolin-Nummern und später Balancen kombiniert mit einer Tauben-Dresssur. 60 Auslandsgastspiele vermerkt die Chronik. Doch die Heimat war immer Forst. „Wenn wir bei unserer Rückkehr von Weitem schon den Wasserturm sahen, waren wir wieder zu Hause!“, sagt Manfred Mudlack emotional sehr bewegt.

Das Leben in den Manegen und Varietès dieser Welt schärft auch den Blick für ganz andere Dinge: „Wir brauchen Kultur, Folklore und Musik zum Austausch zwischen den Völkern und keine Kriegsgeräte“ ist eine der Botschaften der Mudlacks. Und auch zur Diskussion, ob Tiere in einen Zirkus gehören oder in die freie Wildbahn, macht Manfred Mudlack eine klare Ansage: „Tiere gehören in den Zirkus, damit die Menschen, besonders die Kinder, die Tiere betrachten können. In freier Wildbahn würden Zirkustiere keinen Tag überleben.“ Ein Zirkus ohne Tierdressuren habe mit Zirkus nicht mehr viel zu tun.

Ihre Erfahrungen haben die Mudlacks nach Karriereende an den Forster Nachwuchs weitergegeben, erst beim Kultur- und Sportensemble Dynamo und später bei den Sportakrobaten des PSV Forst (Lausitz). „Ein Spagat tut nicht weh und kann bei entsprechendem Training überall ausgeführt werden“. So wie in der Berliner Straße, als Manfred Mudlack mal drei seiner ehemaligen Schützlinge traf, die sich an seine Worte erinnerten und spontan auf offener Straße in den Spagat gingen

Es gäbe noch so viel mehr zu berichten. Ingrid Eberts Sauna-Uhr war längst schon mehrmals durchgelaufen. So blieb wenigstens noch Zeit, die kleine Ausstellung von Zirkus-Plakaten, Zeitungsberichten und Fotos zu besichtigen.

Über Thori 186 Artikel
Blauäugiger freiberuflicher Dichter und Denker, Jahrgang 67, Kreativling, Kulturschaffender, Fotograf, Filmperlentaucher und Pfützenländer

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