Es gibt in diesem Jahr viel zu feiern: 60 Jahre Grundgesetz und damit 60 Jahre BRD, 60 Jahre seit der Gründung der DDR, 20 Jahre Mauerfall, 40 Jahre Puhdys. Und es gibt ein Jubiläum, daß zwar nicht ganz so euphorisch gefeiert wird, aber dennoch Einzug in die Geschichtsbücher gefunden hat: Vor 35 Jahren gab es das einzige Fußball-Länderspiel zwischen den beiden deutschen Staaten. Die Gruppenauslosung zur Fußball-WM 1974 in Deutschland hat ergeben, daß beide Länder in eine gemeinsame Gruppe gelost wurden und gegeneinander antreten müssen.
Im offiziellen Sprachgebrauch der Fußballfreunde gilt die „Schmach von Cordoba“ als größte Niederlage des (west-) deutschen Fußballs. Höchstens noch die „Schande von Gijon“ kann da mithalten.
Für Fußball-Laien: Bei der „Schmach von Cordoba“ verlor bei der WM 1978 in Argentinien die deutsche Fußball – Nationalmannschaft, damals amtierender Fußballweltmeister, gegen Österreich mit 3:2 und schied aus dem weiteren WM-Turnier aus. „I werd narrisch“ von Österreichs Reporterlegende Edi Finger wurde damals zum Kult. 1982 trafen beide Mannschaften wieder bei einem WM-Turnier aufeinander. Weil sich beide Nationen bereits für die nächste Runde qualifiziert hatten, „vereinbarte“ man einen Nichtangriffspakt und schob sich gegenseitig die Bälle zu, ohne ernsthaft anzugreifen. Mit der „Schande von Gijon“ müssen beide Mannschaften seitdem leben.
Aber die eigentliche Niederlage fand bereits am 22. Juni 1974 statt. Im Hamburger Volksparkstadion standen sich die Nationalmannschaften der BRD und der DDR gegenüber. Es war mehr als ein Fußball-Länderspiel – es war ein Politikum. Mitten in Zeiten des Kalten Krieges standen sich praktisch auch die Gesellschafts-Systeme auf dem Fußballplatz gegenüber. Der Kapitalismus gegen den Sozialismus, Ost gegen West, David gegen Goliath, Titelfavorit gegen Außenseiter, Fußballmacht gegen Fußballzwerg, die vielleicht beste westdeutsche Mannschaft aller Zeiten gegen die beste ostdeutsche Mannschaft aller Zeiten, auch wenn diese international gesehen nur zweitklassig war.
Und trotzdem nahm das Spiel einen völlig verkehrten Verlauf. Das Starensemble aus dem Westen verlor gegen den politischen und sportlichen Gegner. Jürgen Sparwasser besiegelte mit seinem Tor in der 78. Minute die Niederlage des Westens, machte sich zur Legende und sorgte bei den Funktionären in Ostberlin für große Freude. Der Sieg des Sozialismus ist auch auf dem Fußballplatz nicht aufzuhalten.
Zwar betonte man seither beim DFB immer, diese Niederlage hat erst den späteren Titelgewinn möglich gemacht, aber der Ärger über diese Niederlage hat sich bis heute gehalten. ARD-Fußballexperte Günther Netzer ist es noch immer peinlich, in dieses Spiel eingewechselt worden zu sein, am liebsten wäre er aus dem Stadion geflohen, nur um nicht mitspielen zu müssen.
Das Endergebnis hat auch noch in anderer Hinsicht Bedeutung. Die Mannschaften des Deutschen Fußballbundes bestritten mit Stand Juni 2009 seit der Gründung insgesamt 819 Länderspiele gegen 88 Länder, nur 183 Spiele gingen verloren. Aber gegen keine andere Mannschaft gibt es eine schlechtere Bilanz als gegen die DDR: Null Tore, Null Punkte. Und so wie es momentan aussieht, wird es wohl auch für immer so bleiben…
Die Beteiligten von Damals nahmen unterschiedliche Entwicklungen. Franz Beckenbauer, der Kapitän der BRD-Auswahl, wurde zum nationalen Heiligtum und überstrahlt seitdem den deutschen Fußball. Andere Spieler wie Berti Vogts, Wolfgang Overath, Sepp Maier, Paul Breitner, Ulli Hoeneß oder Gerd Müller sind auch noch heute noch omnipräsent, nicht nur in den Medien, und haben nichts von ihrer Popularität eingebüßt.
Von den DDR-Spielern hört man dagegen kaum noch etwas. Jürgen Sparwasser wird regelmäßig aus der Versenkung geholt, wenn es gilt, das Spiel mal wieder zu analysieren. DDR-Torwartlegende Jürgen Croy war kurzzeitig Bürgermeister in einer Heimatstadt Zwickau. Reinhard „Mäcki“ Lauck, der in Hamburg wahrscheinlich das Spiel seines Lebens machte und seinen Gegenspieler Wolfgang Overath zum Statisten degradierte, starb im Oktober 1997 im Alter von nur 51 Jahren. Die anderen Spieler der DDR-Auswahl sind wohl nur noch Insidern bekannt: Lothar Kurbjuweit, Gerd Kische, Konrad Weise, Bernd Bransch, Siegmar Wätzlich, Harald Irmscher, Hans-Jürgen „Hansi“ Kreische, Martin Hoffmann.
Der damalige DDR-Trainer Georg Buschner starb 2007. Auch das Volksparkstadion in Hamburg als Austragungsort dieses denkwürdigen Spiels mußte einer neuen Arena weichen.
Aber was wäre eigentlich geworden, wenn das Normalste auf dieser Welt eingetreten wäre und die favorisierte BRD-Auswahl gewonnen hätte? Beide Mannschaften waren ohnhin für die nächste Runde qualifiziert. Während die DDR also nach dem Erfolg über den Klassenfeind als Gruppenerster die schwerere Gruppe in der Finalrunde erwischte, wo mit Argentinien, Brasilien und den Niederlanden wirkliche Schwergewichte des internationalen Fußballs warteten, hatte die BRD Glück und konnte über die Stationen Polen, Schweden und Jugoslawien ins Finale einziehen, wo der Titelgewinn perfekt gemacht wurde.
Nicht auszudenken, wenn es andersherum gekommen wäre: Die DDR verliert wie erwartet gegen die andere deutsche Mannschaft, erwischt zur Belohnung aber die leichtere Zwischenrunde. Da man durchaus mit den besten Mannschaften der Welt mithalten konnte, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die DDR noch die eine oder andere Überraschung parat gehabt hätte. Und während der WM-Gastgeber vielleicht gescheitert wäre, hätte die DDR ihren Siegeszug fortgesetzt und möglicherweise die Sensation geschafft und sich vor der BRD platziert. Man will nicht wissen, was schlimmer ist: die – wenn auch immer noch ärgerliche – Länderspiel-Niederlage der BRD gegen die DDR oder ein evt. WM-Triumpf der DDR auf des Klassengegners Platz.
Sicher ist nur, der Stachel der Niederlage des Westens gegen den Osten sitzt noch immer tief, aber er hätte auch tödlich enden können!
Und noch etwas Bemerkenswertes. Egal, für welche Mannschaft man auch war: Die deutsche Einheit wurde an diesem Abend praktisch schon vorweg genommen. In beiden deutschen Staaten fieberten die Einwohner diesem Spiel entgegen. Ost und West, Jung und Alt saß kollektiv vor den Fernsehern. Der Fußball schaffte an diesem Abend etwas Besonderes, nämlich die Menschen beider deutscher Staaten zu einen, und sei es nur für 90 Minuten beim „gesamtdeutschen“ Anschauen des gleichen Fernsehprogramms.
Die DDR war zwar im Fußball immer nur zweitklassig, aber einmal war sie so erstklassig, daß die Erinnerung an den größten Erfolg des DDR-Fußballs bis in die heutige Zeit überlebt hat.
Eine Fußball-Weisheit lautet: „Beim Fußball geht es nicht um Leben und Tod – es geht um mehr!“
Wie am 22. Juni 1974, als der Osten den Westen besiegte….
Veröffentlicht in “American Rebel” – Onlinezeitung, 10. Juni 2009
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